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3. Bericht aus Rumbek, 21. August 2005

Unglaublich aber wahr!

Schon sind wieder acht Wochen seit dem letzten Bericht vergangen! Diese Wochen habe ich für einen Dinka-Sprachkurs genutzt, der von der Diözese Rumbeks angeboten wurde. Unser Lehrer Moses hat uns Kenntnisse der Sprache wie auch der Lebensweise der größten einheimischen Bevölkerungsgruppe Südsudans, der Dinka, vermittelt. Es ist eine mittelalterliche, in vielen Bereichen noch steinzeitlich anmutende Lebensform von nomadisierenden Jägern und Sammlern. Ich möchte  versuchen diese den Lesern hier etwas näher zu bringen.

In der Dinka-Kultur dreht sich alles um das Rind, die ganze Kultur hängt vom Leben mit den Rindern ab (links ein Bild aus einem Cattle Camp, worüber ich später noch schreiben werde). Die Rinder sind Familienmitglieder und Statussymbol, sie sind der Reichtum der Familien und ein Zahlungsmittel für besondere Anlässe, genau genommen für einen besonderen Anlass: die Kühe (Bullen zählen hierbei nicht!) werden als Gegenwert an die Familie gegeben, die eine Tochter zur Heirat abgibt. Dabei spricht niemand von "verkaufen", aber es ist nichts anderes! Dazu das folgende Gespräch  zwischen einem Ehepaar und der Tochter (es wurde von Moses für unser Dinka-Lehrbuch geschrieben und gibt eine Szene wieder, die gegenwärtige Realität ist!):

Mutter:
Tochter:
Mutter:

Vater:
Tochter:
Vater:
Tochter:
Mutter:








Tochter:
Vater:


Tochter:







Mutter:
Vater:
Tochter:
Eltern:

"Liebst Du uns, Tochter?"    (bei dieser Frage weiß das Mädchen, worum es geht!)
"Warum fragst Du mich so, Mama?"
"Wir wollen  für Dich Nahrung bekommen, Tochter. Wir geben dich für Kühe."
-
"Hast Du uns verstanden?"
"Ich habe verstanden, Papa. ...Wem wollt ihr mich geben?"
"Wir wollen Dich Ton Kuc geben."
"Er ist schon alt!"
"Er ist alt, Tochter. Aber er hat Söhne."  
(In der Dinka Kultur herrscht die polygame Lebensform, jeder Mann kann so viele Frauen heiraten, wie er bezahlen kann. Und es ist ganz normal, dass die Söhne oder andere männliche Verwandte des Mannes seinen Platz einnehmen, wenn er zu alt, krank, impotent oder sonst wie verhindert ist! Die Kinder, die dabei gezeugt werden, gelten als die Söhne des Ehemannes! Und auch eine Witwe, die selbst zu alt ist, um Kinder zu bekommen,  kann eine Frau heiraten (=kaufen), damit diese dann mit (ganz selbstloser!?) Hilfe der männlichen Verwandten des Verstorbenen für diesen Kinder zur Welt bringt! Man geht deshalb davon aus, dass die Witwe John Garangs eine Frau heiraten wird. Denn er hat nur einen Sohn neben einigen Töchtern. Es bedarf weiterer Söhne, um seinen Namen fortzupflanzen!)
"Wie viele Kühe bekommt ihr von ihm?"
"Er hat achtzig Kühe. Wenn er dich heiratet, werden wir Lebensmittel bekommen, und dein Bruder kann heiraten."   
(achtzig Kühe sind eine bescheidene Zahl! Es sind oft weit über hundert bis dreihundert.)
"Ich akzeptiere eure Entscheidung, weil ich Euch respektiere." 
 (Die Tochter weiß, dass sie keine Wahl hat. Sie kann sich weigern und würde dann weglaufen und sich verstecken, so ist das 'Ritual'! Es ist dann an ihren eigenen Brüdern ihr nachzulaufen, sie zu suchen und zu finden, dann wird sie verprügelt! (Es ist wirklich wahr!) Schließlich wird sie doch einwilligen. Nicht selten, so Moses, ist diese Zwangslage der Grund für Suizid. Wenn die Mutter genauso wenig von dem auserwählten Bräutigam überzeugt ist wie die Tochter, kann diese sich mit ihrer Hilfe wirklich verstecken. In diesem Fall ist allen klar, dass die Mutter Mitwisserin ist, und also wird dann sie geprügelt!) *
"Wenn du einverstanden bist, meine Tochter, sind wir glücklich!"
"Ich werde alles vorbereiten zum Wohl deines Hauses."
"Nun gut, wir sind alle einverstanden."
"Das ist schön, Tochter! Gott ist mit Dir."

* Die Dinka sind wirklich ein sehr rustikales Volk, um es so zu umschreiben. Hier werden alle Meinungsverschiedenheiten gewaltsam 'geklärt'. Aus nichtigen Anlässen entwickeln sich regelrechte Schlägereien, oft beobachtet man hier solche handgreiflichen Auseinandersetzungen. Kinder sind ständig am käbbeln, was keinen Erwachsenen veranlasst, einzugreifen. Auch wenn unser Nachbarsjunge Gum minutenlang auf seine Mutter einhaut, zollt ihm der Vater höchstens Beifall, denn er beweist sich als starker Krieger. Im Gefängnis sind Prügelstrafen alltäglich, und auf offener Straße werden Strafen - z.B. für Vergehen im Straßenverkehr - durch Hiebe direkt vollzogen; auch die Todesstrafe ist noch Praxis im Strafvollzug.  Ein milderes Strafmass ist die Zahlung einer bestimmten Anzahl von Kühen.  Eine solche Strafe wurde beispielsweise gegen einen Fahrer der Diözese verhängt, als ein Dinka vor der Polizei klagte, ihm sei eine Kuh entlaufen, als das  Fahrzeug im Vorüberfahren seine Herde von der Piste gedrängt hatte. Vier Kühe waren als Strafe festgesetzt worden! In solchen Fällen folgen dann lange Auseinandersetzungen, bis man einen Vergleich findet.

 

Der Aparak

Eine weitere uns noch fremdere und grausam erscheinende Besonderheit der Dinka-Tradition ist das Initiationsritual, durch das die Jungen im Alter von 15 bis 16 Jahren zu Männern werden. Die meisten Männer, in der Stadt die überwiegende Mehrheit, auf dem Land in den Cattle Camps so gut wie alle, tragen auf der Stirn  lange Narben, die Ihnen durch Messerschnitte zugefügt werden und die das äußeres Merkmal ihrer Vollwertigkeit sind. Wer das hinter sich hat ist ein 'Aparak'! Es gibt durchaus einige Männer ohne diese Narben, die sich diesem Ritual verweigert haben. Sie werden von den 'richtigen' Dinka nicht ernst genommen und haben kein Mitspracherecht im Clan. Die Zeremonie der Initiierung findet in der Zeit November/ Dezember statt und vollzieht sich wie folgt:

An einem bestimmten Tag finden sich die Jungen im richtigen Alter an einem besondern Ort draußen im Freien ein. Sie setzen sich im Schneidersitz alle nebeneinander, je nach Größe des Clans 30, 70, 100 in einer langen Reihe. Die Angehörigen sind als Zuschauer anwesend. Vor sich hat jeder der Jungen ein Loch ausgehoben, in das das Blut fließen wird. Hinter einem jeden steht dessen eigener Vater oder ältere Bruder mit einem Speer, um denjenigen zu erstechen, der bei der Prozedur schreit! Denn erstens wird das als eine große Schande für die Familie angesehen und zweitens glaubt man, dass, wer schreit, von einem bösen Geist besessen ist oder befallen wird und also in Zukunft nutzlos ist.  Der Zeremonienmeister schärft das Messer während er auf und ab geht, um den vermeintlich Ängstlichsten oder einfach den Jüngsten auszumachen.  Diesem wird dann das Messer seitlich in den Kopf gerammt, so dass es in der Schädeldecke stecken bleibt. Die Tapferkeit der Jungen wird weiter auf die Probe gestellt, indem der Meister sich dann entfernt, um erst noch  zu rauchen. (Was sich sarkastisch anhört ist wirklich wahr und mehrfach von verschiedenen Personen, auch den jungen Aparaks, bestätigt worden!) Dann kommt er zurück und setzt die langen Schnitte von einer Seite des Kopfs über die Stirn zur anderen in mehreren Reihen. Wie viele Reihen es sind, mindestens sechs, bis zu neun, ist abhängig  von der Höhe der Stirn. Dabei singen die Jungen laute Lieder in denen sie die große Zahl und die Schönheit der Rinder der Familie preisen etc. , um auf diese Weise den Schmerz zu bekämpfen. Einen ganzen Tag lang bluten die Wunden, die dann mit bestimmten Blättern bedeckt werden. Die weitere Genesung dauert gut einen Monat, währenddessen die Jungen zusammen in einem Haus wohnen und gepflegt werden.

Zu diesem Thema ein Dialog aus dem Lehrbuch zwischen zwei  Jungen  (Marual ist schon ein Aparak, Deng will es werden!):

Marual:
Deng:
Marual:
Deng:




Marual:
Deng:
Marual:
Deng:
Marual:
Deng:
Marual:
Deng:

Marual:

Deng:

Marual:
Deng:
Marual:
Deng:

"Guten Morgen, Deng!"
"Hallo, Marual."
"Wohin rennst du?"
"Ich hab' gehört, dass heute die Initiierung stattfindet."
(Es ist nicht etwa so, dass die Jungen gedrängt werden müssen. Das geschieht auch nicht, vielmehr "darf" nur dabei sein, wer aus freien Stücken kommt. Die meisten sind erpicht darauf,  erwachsen zu werden, und drängen sich schon früh auf.)
"Brauchst du die Initiierung dieses Jahr?"
"Warum fragst Du?"
"Du bist noch jung!"
"Was soll das heißen? Wie jung bin ich wohl?"
"Du bist doch 14, oder?"
"Ja stimmt, und ich hab's mir überlegt."
"Wirst du nicht schreien?"
"Ich werde nie schreien!...
...Aber wenn ich schreie, was passiert dann?"
"Wenn du schreist, wirst du getötet. ... Ich will dir einen Rat geben, mein Freund,..."
"Laß mich nachdenken."
        'Wenn ich schreie, werde ich getötet - sie töten mich.'
"Hast du es dir gut überlegt, Deng?"
"Ich glaube ich warte lieber noch?"
"Gut, dass du auf mich hörst!"
"Ich danke dir für den Rat, mein Freund."


Im Cattle Camp habe ich einige Aparaks gefragt, wie sie es erlebt hätten, ich stelle mir das sehr schmerzhaft vor. "Ja, ist es", war die knappe Antwort, und amüsiert zeigten sie mir die Speerspitze, mit der die Schnitte gezogen worden waren. Abraham, ein junger Lehrer im Dinka-Unterricht, sagte uns, dass man nach dem ersten Schnitt das Weitere irgendwie aus der Ferne erlebt, als ob es jemand andrem  zugefügt würde, oder einem Baum. Übrigens sind die Dinka-Kinder, sowohl Jungen wie Mädchen, Schmerz gewöhnt. Denn ist auch Tradition in diesem Volk, den Kindern im Alter von etwa zehn Jahren die unteren Schneidezähne zu entfernen. Zahnärzte gibt es nicht, und so kann sich jeder vorstellen, dass auch das nicht schmerzfrei vonstatten geht. In Ermangelung brauchbarer Zangen wird auch das mit der Speerspitze erledigt. Den Sinn dieser Tortur kenne ich noch nicht, fest steht, dass das ein Handicap für die Nahrungsaufnahme ist.

Es herrschen raue Sitten im Dinka-Land, die bei mir wie wohl auch bei den meisten Lesern neben Staunen auch  Unverständnis hervorrufen. Besonders die Rolle der Frau kommt uns sehr rückständig vor. Es ist vollkommen ernst gemeint und sachlich, wenn die Männer feststellen, dass die Rinder hier wichtiger sind als die Frauen! Wie weit der Weg zu einer Emanzipation noch ist, wurde mir heute klar, als Moses (er selbst ist ein aufgeklärter Mann!) es uns so darstellte: "Mit der besseren Schulbildung wird sich etwas ändern. Aber es braucht seine Zeit! Die Männer fangen gerade an nachzudenken und zu verstehen, dass die Frau nicht nur ein Werkzeug ist, dass sie auch ein Hirn hat und denken kann."  Besonders mit der zunehmend besseren Schulbildung für die Mädchen wird sich vieles ändern. Auf der Wand des Hauses einer Mädchenschule stand der Satz "Don't sell us for cows!" , "Verkauft uns nicht für Kühe!"
Auch erscheint es uns irgendwie zivilisierter, wenn Konflikte in Ruhe im Gespräch gelöst werden. Aber wer weiß, welche Aggressionen dabei unterdrückt werden und als neues Konfliktpotential zurück bleiben, um auf ganz andere, vielleicht nicht weniger schädliche Weise zu wirken? Jedenfalls sollten wir uns nicht anmaßen das Fremde voreilig zu verurteilen oder gering zu schätzen.
Die Dinka haben einige vorzügliche Eigenschaften, von denen wir uns möglichst viel annehmen sollten! So gilt beispielsweise die "Üble Nachrede",  hinter seinem Rücken schlecht über jemanden  zu reden, als eine der übelsten Vergehen! Schon Kleinkinder werden besonders streng in diesem Sinn erzogen.
Auch Ironie und Sarkasmus, die nicht scherzhaft sondern beleidigend oder provozierend verwendet werden, sind hier absolut verpönt! Moses sagte uns mit ehrlich bedauernder Aufrichtigkeit, dass dieses den Afrikanern  als eine unschöne Eigenart der Europäer auffällt!

Ein Dinka-Sprichwort sagt: "Adheng wunë kuc adheng wundä", "Der Gentleman (oder auch Held) eines Volks ist bei anderen unbekannt."

So viel dieses Mal aus Rumbek. Vielen Dank für das Interesse und für die Spenden, die schon eingegangen sind!

Herzliche Grüße, Martin Grütters
 

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Das Konto ist inzwischen geschlossen! Ganz herzlichen Dank noch einmal an alle, die zu den Projekten der vergangenen Jahre ihren Beitrag geleistet haben!

 

 

Die folgenden Links führen zu den weiteren Berichten:

1. Bericht aus Rumbek, 15. Mai 2005 (Die ersten Eindrücke)

2. Bericht aus Rumbek, 18. Juni 2005 (Hilfsprojekt für IDPs)

4. Bericht aus Rumbek, 20. Oktober 2005 (Über das Leben der Menschen  in Rumbek)

5. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2005 (Die Schule Mabor Ngap, Rumbek)

6. Bericht aus Rumbek, 05. März 2006 (Der Neubau der Schule Mabor Ngap, Rumbek)

7. Bericht aus Afrika, 28. April 2006 (Am Ende meines ersten Jahres)

8. Bericht aus Rumbek, 10. September 2006 (Nach dem Aufenthalt in Deutschland)

9. Bericht aus Rumbek, 01. November 2006 (Fortschritte bei der Projektarbeit)

10. Bericht aus Rumbek, 04.Februar 2007 (Langsamkeit als Therapie)

11. Bericht aus Rumbek, 31. Mai 2007 (Der Abschluss des zweiten Jahres)

12. Bericht aus Rumbek, 1. Dezember 2007 (Neuanfang als Selbständiger)

13. Bericht aus Rumbek, 22. März 2007 (Volldampf an den Baustellen)

14. Bericht aus Rumbek, 26. April 2007 (Langsamkeit und Stagnation)

15. Bericht über die Arbeit in Rumbek (Am Ende des dritten Jahres)

16. Bericht aus Rumbek, 01. März 2009 (Wiedereinleben zuhause in Rumbek)

17. Bericht aus Rumbek, 04. April 2009  (Sand im Getriebe)

18. Bericht aus Rumbek, 25.Juni 2009  (noch mehr Sand im Getriebe)

19. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2009 (Das Ende ist nah!)

20. Bericht aus Rumbek, 31. März 2010  (Start der letzten Runde)

21. Bericht aus Rumbek, 04. September 2010 (Auf zum letzten Gefecht)

22. Bericht aus Rumbek, 12. Dezember 2010 (Wirklich der letzte?)

Der letzte Bericht (Ende gut, alles gut!)