Home

weitere Berichte  1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  14.  15.  16.  17.  18.  19.  20.  21.  22. 23.

9. Bericht aus Rumbek, 1. November 2006

Wieder sind zwei Monate vergangen, wieder ist es Zeit zu berichten. Diese Mal möchte ich einfach meine Erfahrungen mit den Lesern teilen, leider waren es nicht ausschließlich gute! Geteilte Freude ist doppelte Freude und geteiltes Leid ist halbes Leid! Hoffentlich ist es mir gestattet, etwas Ballast abzuwerfen. Ich werde einige wahre Begebenheiten schildern, damit nicht auch das Lesen zur Last wird!

Bei meiner Rückkehr aus Deutschland war ich sehr guter Dinge, dank der Spender ausgestattet mit einem Budget, das mir Ansporn war und mich tolle Bilder träumen ließ. Die Schule Mabor Ngap stellte ich mir als Musterschule vor, fix und fertig mit allen Gebäuden, eingefriedet mit einem schmucken Zaun, sauber aufgeräumt und in schönen Farben, ebenso die jetzt zu bauende Panda Nursery School, Orte bunten Treibens mit Kindergelächter aber auch regelmäßigem Unterricht. Was ist bisher daraus geworden? Gut, wir haben weiter gearbeitet, sogar der grobe Zeitplan (der allerdings auch großzügig ausgelegt war) wird noch eingehalten. Vor Ende der Regenzeit sind alle Gebäude in Mabor Ngap fertig verputzt und mit Tür- und Fensterrahmen versehen. Heiter wollte ich weiter machen, aber es war richtig anstrengend, wirklich zermürbend! Ständig Rückschläge, Enttäuschungen und Frust! Was immer ich mit bester Absicht zum Wohl der Menschen hier begann, fiel als Problem auf mich zurück!

Ein verputztes Klassenzimmer


 

und eine
Klasse in
den neuen Schuluniformen
(Mädchen gelb,
Jungen grün)

Das Geschenk der Lebensmittel von der Diözese, dass ich organisieren und überbringen konnte, wurde zum Boomerang; alle Schwierigkeiten mit dem Mahlen und dem Transport ließen sich angeblich nur mit meinem Geld lösen.

Die Uniformen, die ich in Nairobi besorgt hatte, wurden begeistert angenommen, dann aber auch zum Problem. Die Kinder halten sich einfach nicht an die Regeln! Nachdem sie nur einen kleinen symbolischen Preis dafür gezahlt hatten, tragen viele sie tagein, tagaus. So haben sie natürlich nur eine kurze Lebensdauer und sind damit längerfristig nicht finanzierbar. Es ist auch die Verantwortung der Eltern, sich darum zu kümmern. Aber das Verantwortungsbewusstsein fehlt! Es gibt auch witzige Anekdoten dazu wie die, dass ein kleiner Junge, von der Mutter der Uniform entledigt, vor Verzweifelung brüllte und ankündigte,  sich mit einem Hammer das Leben zu nehmen. Oder ein anderer Junge, dessen T-Shirt schon nach zwei Wochen völlig zerrissen und durchlöchert war. Wie kann das sein? Es war gewaschen, zum Trocknen über einen Bambuszaun gehängt und leider von einer Kuh gefressen worden.  So etwas kann passieren in Dinkaland!

Als ich die Uniformen für die Schüler überbracht hatte, fragten die Lehrer sofort nach solchen für sich selbst und sogar die Handwerker brachten sich in 's Gespräch. Blödsinn! Ständig kommen sie mit neuen Forderungen! Martin, wir brauchen Geld, Essen, Uniformen, Uhren, Stühle und, und, und! Nur die Bereitschaft von sich aus einmal irgendetwas zu tun, irgendwie zu helfen, und sei es nur mal festzuhalten, damit ich nicht mit Füßen den Türrahmen fixieren muss, um mit den Händen zu bohren, die Bereitschaft habe ich bei den Lehrern noch nicht gefunden.



Frauen säubern das Getreide

Die Lehrer liegen mir seit meiner Rückkehr in den Ohren, ihnen finanziell zu helfen. Auch das ist für mich ein Problem. Denn einerseits weiß ich, dass sie wie die Kollegen anderer Schulen kein Gehalt vom Schulministerium bekommen. Und ich muss anerkennen, dass sie weiter unterrichten, wenn auch nicht sehr intensiv. Andererseits kann ich das Budget nicht zur Lösung dieser akuten Probleme verwenden, denn mit dieser Soforthilfe wird nichts nachhaltig verbessert. Es gibt neben den fehlenden Lehrergehältern zu viele Probleme der Art, ich kann nicht alle lösen. Und die Lehrer haben noch kein einziges Mal mir geholfen, beispielsweise, um die Verschwendung von Sand und Ziegeln durch spielende Kinder und Ziegen einzudämmen. Sie tun einfach nichts aber äußern ständig Wünsche.

Michael, einer der Schreiner unserer ehemaligen Lehrschreinerei, wurde mit der Anfertigung der Fensterrahmen beauftragt, arbeitete ein paar Tage, um dann mit dem Lagerverwalter zu streiten, weil ein Hammer (mein Hammer!) geklaut worden war, und ward nicht mehr gesehen. Später, als ich ihn bat weiter zu arbeiten, sagte er für den kommenden Montag zu, kam aber nie. Zwei andere Arbeiter übernahmen den Auftrag, arbeiteten drei Stunden vormittags, um dann für fünf Tage zu verschwinden! Sie seien krank gewesen, hieß es, waren aber während der Zeit auf unserem Jesuitengrundstück mit anderen Arbeiten für Father Joe beschäftigt ohne mir wenigstens Bescheid zu sagen. Für wie dämlich halten die mich? Am Ende war das Ergebnis der Arbeit armselig, die Fenster im Einheitsformat von 1,20mx1,20m krumm und schief mit einer Maßtoleranz von +/- 7cm! Diese Leute stellen sich einem als Schreiner vor! Ich könnte heulen! Wenn ich das Ergebnis so nicht akzeptieren und gar nicht oder weniger zahlen würde, hätte ich das nächste Verfahren, den nächsten "Case in the police court" am Hals! Noch habe ich mich nicht über das Ergebnis einer Handwerksarbeit freuen können! Was ich selbst beitragen kann, ist kaum mehr als Schadensbegrenzung.



David Deng

In dem ganzen Bauprozess gibt es nur einen wirklich guten, fleißigen Arbeiter. Das ist David Deng. Er hat das Doppelklassenzimmer gebaut und jetzt die Putzarbeiten erledigt. Sein Interesse ist es zu arbeiten und mit der Arbeit Geld zu verdienen. Und er ist engagiert. Um mit seiner Arbeit voran zu kommen, ist er auch bereit Dinge zu erledigen, die nicht in seinen Aufgabenbereich fallen. Ich mag mir nicht vorstellen, was aus dem Projekt ohne ihn bisher geworden wäre! Eines Tages kam Abraham, der Schulleiter, zu mir mit der Meldung, er habe David verhaften lassen. Tatsächlich, David saß zwei Tage im Gefängnis! Der Grund war ein Stück Holz von ca. 60cm Länge, mit dem David zuhause arbeitete und das Abraham als zur Schule gehörig identifizieren zu können glaubte. Natürlich ist ihm der Nachweis vor Gericht nicht gelungen. Der Prozess hat drei Tage gedauert und ist noch nicht beendet, weil irgendein Zeuge nicht zu finden ist! Das ist nur ein Beispiel, wie die Dinka sich und anderen, zum Beispiel mir, das Leben schwer machen! Und es ist kein Einzelfall, beileibe nicht! Diese Geschichten wiederholen sich tagtäglich! Zum Glück nimmt es David gelassen und ist nicht abgesprungen, wie ich befürchtet hatte.

Dann gibt es immer Jungs, die Geld brauchen und nach einem Job fragen (einer, weil er Kleptomane ist und deshalb ständig Schulden hat!). Jit Mamer fragte mich sogar, ob er die Schule ab- oder unterbrechen solle, um mit mir zu arbeiten. Ich riet davon ab, stellte ihm aber einen Job in Aussicht. Er sollte den vielen verstreuten Sand zusammenschaufeln, um größeren Verlust zu vermeiden. Er kam nicht! Freitag nicht, Samstag nicht und Montag auch nicht. Am Dienstag war er ganz verdutzt, dass ich seinen Job an Peter Malal, den Kleptomanen, gegeben hatte. Aber ach! Auch von Peter keine Spur! Weder am Dienstag, noch am Mittwoch, noch am Donnerstag! Am Freitag hatte er offensichtlich ein weinig getan, um dann aber samstags schon wieder zu schwänzen. Dabei steht er mit einem Bein im Gefängnis, denn er hatte einfach das Fahrrad  eines Bekannten verkauft und den Erlös direkt umgesetzt.  Die beiden waren dann, was mich gefreut hat, zu mir gekommen, um zu beraten. Ich hatte ihnen in einem früheren Fall gesagt, dass es aus meiner Sicht unsinnig ist, sich immer erst zu schlagen und dann die Polizei einzuschalten! Das löst ja keinen Fall! Also wurde beschlossen, dass Peter viel arbeiten darf, um die Schulden abzustottern. Dabei fällt mir jetzt ein, ich habe Peter schon lange nicht mehr gesehen!?
Verwundert und verärgert habe ich die Arbeit in sechs Stunden dann selbst erledigt. Ich hatte die Erfahrung machen müssen, dass Einige nicht einmal mehr gegen Bezahlung zu arbeiten bereit sind! Peter Malal, ein ganz netter aber einfach strukturierter Kerl, kommt mir immer mit "Oh, Brother Martin, hungry very bad!" Ich sag ihm jetzt immer "Stupid very bad, that's the problem!" Eines muss man Ihnen lassen: sie haben Humor und auch Selbstironie! So einen Spruch nehmen sie einem nicht übel! Aber für mich sind diese Erfahrungen in der Häufigkeit ein Problem.

Meine größte Schwierigkeit ist es, dass die Leute kaum zu motivieren sind sich selbst zu engagieren! Daran kann man oft verzweifeln! Alle, die als Entwicklungshelfer gewisse Zeit hier gearbeitet haben, bestätigen das. Die allgemeine Haltung ist "Nobody is supposed to work for free!", "Niemand arbeitet umsonst!", was natürlich Unsinn ist! Ich sage immer, jeder hat umsonst zu arbeiten, wenn er dazu in der Lage ist, es zu seinem eigenen Wohl ist und er ein Interesse an dem Projekt hat! Insbesondere, wenn er arbeitet, um ein Geschenk entgegen zu nehmen! Bis die Menschen hier das begriffen haben, wird es noch lange dauern. Woher kommt diese Haltung? Die Menschen hier sind es gewohnt, dass Hilfe vom Himmel fällt, im wahrsten Sinn des Wortes! Während der langen Kriegsjahre wurden Hilfslieferungen der Vereinten Nationen als Luftfracht einfach abgeworfen, weil es ja nur wenige Landepisten gibt und auch diese in der Regenzeit nicht benutzbar waren. Dazu kommt, dass ja die meisten Entwicklungshelfer, anders als ich, Profis sind und nur Ihrer Arbeit nachgehen. Aus der Sicht der Einheimischen haben die Organisationen ihren Auftrag und ein Budget dafür, und die Mitarbeiter sind hier, um Geld zu verdienen. Das stimmt alles, und insofern kann man die fragwürdige Haltung der Dinka verstehen.  Aus deren Sicht ist es so, dass sie uns die Möglichkeit bieten, unseren Beruf auszuüben.

Vor kurzem bin ich bei einem abendlichen Security Check als Radfahrer angehalten und von den Polizisten selbst ausgeraubt worden. Das motiviert! Doch das Schicksal teile ich mit einer Streife der Polizei der Vereinten Nationen, die hier patrouillierte. Auch sie wurde angehalten und die Soldaten ihrer Funkgeräte, Mobiltelefone und ihres Bargelds beraubt bevor sie freundlich durch gewunken wurde.

Am Samstag werde ich Verstärkung durch zwei weitere Volontäre bekommen, einen jungen Schreiner und einen Ingenieur. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und auch auf die Gesellschaft. Gerade in den letzten Wochen habe ich diese vermisst! Leider hat das Kommen der Beiden schon wieder neue Probleme aufgeworfen. Die offiziellen Zusagen seitens der Jesuitenkommunität waren doch mehr Lippenbekenntnisse. Ich bin zum Sorgenkind geworden seit ich, hauptsächlich wegen Arbeitsüberlastung, einige Male die Messe versäumt habe! Die dauert in der Regel an die zwei Stunden, und damit ist der Sonntagvormittag fast um!  Ich hatte einen Projektantrag für eine Unterstützung durch die UNMIS zu bearbeiten, wobei es immerhin um 25.00,-$ geht. Wenn ein durch Polio Behinderter auf alle Vieren in die Kirche gekrochen kommt, und das ist regelmäßig der Fall, denke ich nicht spontan "Willkommen! Lasst uns singen und lobpreisen!", sondern ich denke daran, wie vielen Behinderten ich bei erfolgreichem Projektantrag durch die Ersparnis ein tricycle kaufen könnte. Es sind 125! Dadurch verschieben sich bei mir die Prioritäten! Jetzt sind für uns Volontäre strengere Regeln aufgestellt worden. Der regelmäßige Gottesdienstbesuch gehört dazu wie auch das Arbeitsverbot für den Sonntag. Die beiden neuen Volontäre sind Protestanten. Um Probleme in Zukunft zu vermeiden, werden wir eine andere Unterkunft bei der Diözese beziehen.

Danke für die Aufmerksamkeit! Ich hoffe, es war nicht zu anstrengend! Beim nächsten Mall will ich gerne wieder Erfreuliches berichten und mehr Bilder dazu zeigen!

Mit herzlichen Grüßen aus Rumbek, Martin Grütters

 

Startseite
Afrika

Spendenkonto:

Das Konto ist inzwischen geschlossen! Ganz herzlichen Dank noch einmal an alle, die zu den Projekten der vergangenen Jahre ihren Beitrag geleistet haben!

 

 

Die folgenden Links führen zu den weiteren Berichten:

1. Bericht aus Rumbek, 15. Mai 2005 (Die ersten Eindrücke)

2. Bericht aus Rumbek, 18. Juni 2005 (Hilfsprojekt für IDPs)

3. Bericht aus Rumbek, 21. August 2005 (Erstaunliches aus der Dinka-Kultur)

4. Bericht aus Rumbek, 20. Oktober 2005 (Über das Leben der Menschen  in Rumbek)

5. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2005 (Die Schule Mabor Ngap, Rumbek)

6. Bericht aus Rumbek, 05. März 2006 (Der Neubau der Schule Mabor Ngap, Rumbek)

7. Bericht aus Afrika, 28. April 2006 (Am Ende meines ersten Jahres)

8. Bericht aus Rumbek, 10. September 2006 (Nach dem Aufenthalt in Deutschland)

10. Bericht aus Rumbek, 04.Februar 2007 (Langsamkeit als Therapie)

11. Bericht aus Rumbek, 31. Mai 2007 (Der Abschluss des zweiten Jahres)

12. Bericht aus Rumbek, 1. Dezember 2007 (Neuanfang als Selbständiger)

13. Bericht aus Rumbek, 22. März 2007 (Volldampf an den Baustellen)

14. Bericht aus Rumbek, 26. April 2007 (Langsamkeit und Stagnation)

15. Bericht über die Arbeit in Rumbek (Am Ende des dritten Jahres)

16. Bericht aus Rumbek, 01. März 2009 (Wiedereinleben zuhause in Rumbek)

17. Bericht aus Rumbek, 04. April 2009  (Sand im Getriebe)

18. Bericht aus Rumbek, 25.Juni 2009  (noch mehr Sand im Getriebe)

19. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2009 (Das Ende ist nah!)

20. Bericht aus Rumbek, 31. März 2010  (Start der letzten Runde)

21. Bericht aus Rumbek, 04. September 2010 (Auf zum letzten Gefecht)

22. Bericht aus Rumbek, 12. Dezember 2010 (Wirklich der letzte?)

Der letzte Bericht (Ende gut, alles gut!)