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4. Bericht aus Rumbek, 20. Oktober 2005

Während ich für die Diözese Rumbek und die Mutter Teresa Schwestern als Architekt arbeite mit dem Ziel, die Planungen für die geplanten Baumaßnahmen bis zum Ende der Regenzeit abzuschließen, damit Transport und Bauarbeiten dann in der Trockenzeit realisiert werden können, stehe ich nach wie vor mit Freunden, Verwandten und Bekannten in Deutschland in Verbindung, um über das Leben hier in Rumbek zu informieren.
Die Grundschulklasse einer mir befreundeten Lehrerin aus Münster hat Initiative ergriffen und mit einer Brötchenbackaktion 120,-€ gesammelt und gespendet! Ganz herzlichen Dank an die Schüler, wie auch an alle anderen Spender, die ihren Beitrag zu bisher fast 9000,-€ an Spenden geleistet haben! Dank sage ich im Namen der Menschen, denen mit dieser Unterstützung geholfen werden wird, es ist aber auch mein persönlicher Dank dafür, dass mir diese Mittel anvertraut werden! Ich werde sorgfältig den Verwendungszweck  im Einzelnen bestimmen ohne das zu überstürzen, um nicht aus Mangel an Erfahrung und Sachkenntnis Fehler zu machen, und darüber Rechenschaft ablegen. Das erste etwas größere Projekt neben den kleineren Ausgaben zur Unterstützung von Sport und Spiel wird gerade durchgeführt. Darüber kann ich wohl schon bald Genaueres sagen. Heute möchte ich aber meinen Brief an die Schulkinder hier zum lesen anbieten, in dem ich versucht habe, ihre Fragen zu beantworten:

noch zwei Kinderbilder  →

Liebe Kinder aus der Klasse 2a,

aus Rumbek im Sudan sende ich Euch viele liebe Grüße! Ich möchte Euch auch ganz herzlich für Eure Arbeit und die Spende für die Kinder hier im Sudan danken! Eure Idee Brötchen zu backen fand ich ganz klasse, ich hoffe, Ihr habt auch etwas Spaß dabei gehabt. Jedenfalls wird die Spende hier sehr viel helfen!

Eure Lehrerin hat mir Eure Grüße und Eure Fragen zugesandt. Es freut mich, dass Ihr Euch dafür interessiert wie es hier in Afrika zugeht, und ich will einfach 'mal erzählen, was ich hier so erlebe und sehe, und versuche dabei alle Eure Fragen zu beantworten.

Einige von Euch  fragen zu Recht wie alt ich eigentlich bin, ich habe mich Euch ja auch noch gar nicht vorgestellt. Also, ich bin 42 Jahre alt und von Beruf Architekt. Hier im Sudan war 23 Jahre lang Krieg! In den wenigen Städten hier sind alle Gebäude zerstört, es gibt nur die kleinen Lehmhütten mit Strohdächern. Weil es hier nach dem Krieg so viel wieder aufzubauen gibt, bin ich von den Jesuiten, für die ich als Volontär arbeite, hierher geschickt worden.

23 Jahre sind eine sehr lange Zeit, in der die Menschen hier immer Angst vor Angriffen und Überfällen haben mussten. Die Araber aus dem Norden Sudans, die Krieg gegen ihre eigenen Landsleute geführt haben, hatten auch hier in Rumbek eine Kommandozentrale. Es kam vor, dass sie einfach nachts irgendwelche Menschen, auch Kinder umgebracht haben. Deshalb haben die Bewohner der Stadt fast nur draußen im Busch statt zuhause gelebt (Es gibt hier auf dem Land nur einzeln stehende Bäume mit Buschwerk dazwischen. Deshalb kann man nicht von Wald sprechen, sondern man sagt "Busch"). Die jüngeren Leute und alle Kinder kennen das Leben anders gar nicht. Man konnte fast nichts einkaufen, sondern musste Tiere jagen und schlachten oder Früchte und Wurzeln zum essen suchen. Während des Kriegs konnte auch nur ganz wenig Schulunterricht stattfinden, und deshalb sind über 90% der Menschen hier Analphabeten, das heißt sie können nicht lesen und schreiben. Erst im Februar dieses Jahres ist der Krieg beendet worden. Jetzt kommen viele Hilfsorganisationen hierher, um mitzuhelfen, dass die Menschen wieder einigermaßen normal leben können. Es werden zum Beispiel Brunnen gebohrt, also tiefe Löcher, aus denen das Grundwasser hoch gepumpt wird. Das ist schon sehr viel wert, denn sonst müssen die Leute ganz weite Wege laufen, um aus dem nächsten Fluss Wasser zu holen. Manchmal sind sie dafür einen halben oder ganzen Tag zu Fuß unterwegs gewesen. Diese Arbeit wird von den Frauen und den Kindern erledigt. Oft wollte oder konnte jemand so weit nicht laufen und hat deshalb Wasser einfach aus einer Pfütze genommen. Davon sind viele krank geworden, weil das Wasser auch von Tieren getrunken wird und dann verseucht ist.

Die Kinder müssen so ab dem 5. Lebensjahr schon sehr viel arbeiten. Die Mädchen müssen meistens das Wasser holen, das sie in Eimern auf dem Kopf tragen, wie auch die Frauen alle Lasten auf dem Kopf balancieren, und sie müssen mit schweren Holzpfählen in einem Holztopf Getreide zu Mehl stampfen. Die Jungen müssen Rinder und Ziegen hüten oder auch, wie der Junge auf dem Bild, Kuhdung als Brennmaterial für das Feuer sammeln. Diejenigen, die draußen auf dem Land leben, arbeiten am meisten, Tag und Nacht, bekommen sehr wenig Schlaf und am wenigsten zu essen. Sie bekommen zuhause höchstens eine Tasse Milch am Tag, Alles andere müssen sie sich selbst suchen, wilde Früchte, essbare Wurzeln oder auch Insekten (igitt!).

Da haben es die Kinder hier in der Stadt schon etwas besser, aber auch nur etwas. Die Afrikaner hier im Sudan sind die dunkelhäutigsten mit natürlich pechschwarzem Haar. Es gibt aber einige Kinder, die komischerweise braunes oder orangefarbenes Haar haben, und dabei dicke Bäuche. Daran erkennt man, dass sie viel zu wenig zu essen bekommen, sie sind krank. Ein so unterernährtes Kind hat deshalb einen dicken Bauch, weil er durch die Krankheit aufgebläht ist.

Schon recht junge Kinder ab 7 Jahren müssen auf die ganz Kleinen aufpassen. Sie tragen sie praktisch den ganzen Tag mit sich herum, was ziemlich anstrengend sein muss. Alle Kinder, die also arbeiten oder auf kleine Geschwister aufpassen müssen, können deshalb nicht zur Schule gehen. Außerdem kostet die Schule hier Geld, weil der Staat die Lehrer und das Schulmaterial nicht bezahlen kann. Für einen Schüler der Grundschule kostet ein Schuljahr umgerechnet 5,-Euro. Leider sind viele Familien hier so arm, dass sie diese Gebühr nicht bezahlen können, und die Kinder also zuhause bleiben müssen. Auch die Lehrer verdienen wenig, wenn überhaupt etwas. Hier in Rumbek wird nur den Lehrern in den Schulen der Diözese (den kirchlichen Schulen) ein Gehalt gezahlt. Ein Grundschullehrer bekommt 3000,- KSH (kenianische Schilling) = 31,50€ pro Monat, also 1,30€/Arbeitstag = 20 Cent/Stunde. Die Lehrer der staatlichen Schulen bekommen für ihre Arbeit eine Mahlzeit, z.B. eine Erbsensuppe, am Tag.
 

Hier in Rumbek gibt es kein Spielzeug für die Kinder. Sie machen sich selbst welches aus Müll und sind manchmal ganz erfinderisch dabei. Man sieht sie mit durchgeschnittenen Plastikkanistern, die sie hinter sich her ziehen, oder sie sammeln Holzstücke aus unserer Schreinerei und spielen damit als wären es Autos. Ganz beliebt sind auch kaputte Fahrradteile wie hohle Radnaben, die mit einem Draht an einem Stock befestigt und herum geschoben werden. Das ist aber auch schon alles!
 

Hier seht Ihr eine ganz normale Schulklasse in einer Grundschule von Rumbek
 

Es ist auch so, dass es in den kleinen Hütten, in denen sie wohnen, nichts gibt, wo man etwas ablegen könnte. Es gibt keine Tische, keine Schränke, keine Schubladen, nichts! Als ich einmal einigen Kindern Murmeln schenken wollte, haben sie sie mir später zurückgegeben, und ich war ganz verdutzt. Sie wussten einfach nicht wohin damit, sie haben ja noch nicht einmal Taschen an der Kleidung. Deshalb stecken sie sich die Knicker in die Backe bis sie abends nach Hause müssen.

Dieser Junge macht sich ein Spielzeug aus dem Deckel einer Konservendose an einer Schnur. Er heißt übrigens John Paul Majok

 
 

Rechts ein Junge mit einer Fahrradfelge. Diese Spielzeuge sind die besten hier in Rumbek, auf die die Kinder ganz stolz sind!

Geld gibt es hier viel, aber es ist leider nicht viel wert! Deshalb gibt es auch keine Münzen. Die Geldscheine sind unheimlich alt, dreckig und total zerfleddert, wie Ihr auf dem Bild sehen könnt. Die kleinste Banknote ist die von 50 sudanesischen Pfund, das sind umgerechnet 8 Eurocent. Selbst von diesem alten Geld besitzen die allermeisten Menschen hier nur wenig. Es gibt auch ganz neue, frische Geldscheine. Die sind aus einfachem Papier gemacht, weswegen sie auch nicht nass werden dürfen, und simpel bedruckt, praktisch wie Spielgeld. Die sind auch ganz einfach am Kopierer zu fälschen. Das macht aber niemand, weil eine Kopie teurer wäre als der Wert der Banknote!

Am Sonntag kommen hier auf dem Grundstück der Jesuiten viele Kinder zusammen  zur "Sunday-School". Sie werden in verschiedenen Dingen unterrichtet, um anschließend Ball zu spielen. Für diese Sunday School habe ich aus Deutschland schon Buntstifte mitgebracht und in Kenia Malhefte eingekauft. Alle diese Dinge gibt es in Rumbek nicht. Die Kinder malen jetzt sehr gerne. So etwas konnten sie in den Kriegsjahren nicht machen, und die meisten älteren Jugendlichen und auch Erwachsene können zum Beispiel nicht mit einer Schere schneiden. Das hat mich erst sehr gewundert, aber sie haben es ja nie gemacht!

Ich habe hier auch die erste Schaukel aufgehängt. Das Seil dafür ist von einem Mann in Handarbeit gemacht worden. Schaukel heißt auf Dinka "Alanglang", und auch die macht den Kindern total viel Spaß. Ich werde für die Kleinen auch noch eine Wippe bauen, und vielleicht einmal eine Art Kinderolympiade oder "Spiel ohne Grenzen" mit Hindernisparcours organisieren.

Hier rechts seht ihr Kinder auf der Schaukel. Auch das ist für sie ganz neu und sie haben noch nicht richtig gelernt, wie man alleine Schwung holt, und müssen angeschoben werden. Aber es macht ihnen auf jeden Fall Spaß!

Sudan war bis 1956 von England besetzt. Aus dieser Zeit stammen die meisten der "richtigen", ich meine die gemauerten Häuser, die im Krieg alle durch Granaten und Bomben zerstört worden sind und jetzt wieder aufgebaut werden. Weil hier früher Engländer gelebt und geherrscht haben, ist die offizielle Sprache im Südsudan Englisch. Aber längst nicht alle, ich würde sagen weniger als die Hälfte der Einheimischen sprechen Englisch. Es wird aber auf den Schulen gesprochen, so dass eher die jüngeren es verstehen. Sonst sprechen die Südsudanesen eine Vielzahl verschiedener Sprachen und Dialekte. Jeder Stamm und jede Region haben eine eigene Mundart. Die größte Volksgruppe im Südsudan sind die Dinka, und ihre Sprache heißt genauso. Ich habe einen Sprachkurs für Dinka besucht und bin weiter dabei es zu lernen, um mich mit den Menschen verständigen zu können. Von den Kindern werde ich oft nach einem Ball gefragt. Sie sagen dann: "Martin, en awich kura (=Ich will einen Ball)", und ich antworte dann: "Kura ato hut. En alo hut ku abi bei kura tene jin. (=Der Ball ist im Haus. Ich gehe in's Haus und hole den Ball für Dich.)"

Von einem Teil des Geldes, das von meinen Freunden in Deutschland für unsere Arbeit hier gesammelt wird, kaufe ich Bälle für die Kinder. Sie spielen sehr gerne Ball, Fußball oder Volleyball. Die Bälle sind hier zum Glück nicht soo teuer. Das ist auch deshalb gut, weil sie wegen der Dornenbüsche und der Stacheldrahtzäune leichter als bei uns in Deutschland kaputt gehen.

Hier in Südsudan ist praktisch immer Sommer, wenn man nach den Temperaturen geht. Man unterscheidet hier die Regenzeit von Mai bis Oktober, in der es recht viel regnet und nachts angenehm kühl wird, und die Trockenzeit von November bis April, in der kein Regen fällt. Es wird jetzt langsam wieder heißer tagsüber, im März wird es bis 50 Grad im Schatten sein! Als ich im Mai hier ankam war es so 39-48 Grad warm. Ich finde das nicht schlecht, aber es ist ermüdend, und man schwitzt auch abends noch sehr ohne überhaupt etwas zu tun. Die Ausländer, die als Entwicklungshelfer hierher kommen, genauer gesagt die Weißen, heißen hier "Kowaja". Als Kowajas haben wir es gut, denn wir wohnen zwar einfach verglichen mit unseren Wohnungen in Deutschland, aber sehr luxuriös verglichen mit den Hütten der Eingeborenen hier. Unser Haus ist etwa wie eine ganz einfache Jugendherberge. Aus der Sicht der Afrikaner ist das ein Palast! Ein ganz großer Vorteil, den wir genießen, ist, dass wir fließendes Wasser aus unserem eigenen Bohrloch haben und damit auch duschen können. Die Möglichkeit haben die Sudanesen hier nicht! Sie können sich höchstens in einem Eimer waschen. Und diejenigen, die mit den Kühen draußen auf dem Land leben, benutzen tatsächlich den Rinderurin, um sich und ihre Haare zu waschen, ihre Töpfe und Becher zu spülen, und sie mischen sie in die Kuhmilch, damit sie nicht schnell verdirbt.

So, Ihr Lieben, ich hoffe ich konnte Eure Fragen beantworten. Wahrscheinlich fallen Euch direkt neue ein, wenn ihr diese Bilder seht. Ich habe schon daran gedacht Euch zu besuchen und zu erzählen, was ich hier so erlebt habe, wenn ich im nächsten Jahr in Deutschland sein werde. Ihr könnt ja mal Eure Lehrerin fragen, ob das geht. Ich wünsche Euch möglichst viel Spaß in der Schule und schicke auch etwas von der Hitze mit in den Herbst nach Münster.

Viele liebe Grüße an Euch alle, Martin aus Rumbek in Afrika

So weit meine Erläuterungen an die Kinder. Ich hoffe sie sind auch für die Älteren interessant. Freut Euch des Lebens in Deutschland !

Herzliche Grüße an alle, Martin Grütters

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Spendenkonto:

Das Konto ist inzwischen geschlossen! Ganz herzlichen Dank noch einmal an alle, die zu den Projekten der vergangenen Jahre ihren Beitrag geleistet haben!

 

 

Die folgenden Links führen zu den weiteren Berichten:

1. Bericht aus Rumbek, 15. Mai 2005 (Die ersten Eindrücke)

2. Bericht aus Rumbek, 18. Juni 2005 (Hilfsprojekt für IDPs)

3. Bericht aus Rumbek, 21. August 2005 (Erstaunliches aus der Dinka-Kultur)

5. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2005 (Die Schule Mabor Ngap, Rumbek)

6. Bericht aus Rumbek, 05. März 2006 (Der Neubau der Schule Mabor Ngap, Rumbek)

7. Bericht aus Afrika, 28. April 2006 (Am Ende meines ersten Jahres)

8. Bericht aus Rumbek, 10. September 2006 (Nach dem Aufenthalt in Deutschland)

9. Bericht aus Rumbek, 01. November 2006 (Fortschritte bei der Projektarbeit)

10. Bericht aus Rumbek, 04.Februar 2007 (Langsamkeit als Therapie)

11. Bericht aus Rumbek, 31. Mai 2007 (Der Abschluss des zweiten Jahres)

12. Bericht aus Rumbek, 1. Dezember 2007 (Neuanfang als Selbständiger)

13. Bericht aus Rumbek, 22. März 2007 (Volldampf an den Baustellen)

14. Bericht aus Rumbek, 26. April 2007 (Langsamkeit und Stagnation)

15. Bericht über die Arbeit in Rumbek (Am Ende des dritten Jahres)

16. Bericht aus Rumbek, 01. März 2009 (Wiedereinleben zuhause in Rumbek)

17. Bericht aus Rumbek, 04. April 2009  (Sand im Getriebe)

18. Bericht aus Rumbek, 25.Juni 2009  (noch mehr Sand im Getriebe)

19. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2009 (Das Ende ist nah!)

20. Bericht aus Rumbek, 31. März 2010  (Start der letzten Runde)

21. Bericht aus Rumbek, 04. September 2010 (Auf zum letzten Gefecht)

22. Bericht aus Rumbek, 12. Dezember 2010 (Wirklich der letzte?)

Der letzte Bericht (Ende gut, alles gut!)