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Patagonien
 

 

Wer hier lebt, ist nicht allein, wer hier lebt, will allein sein! (Bruce Chatwin)

 

Eine Radtour durch Patagonien ist ein kleines Abenteuer. Im Rückblick würde ich zwar sagen, es ist „halb so wild“, auf die Einstellung zur Sache kommt es an. Aber die Fahrt durch diese Gegend Südamerikas mit dem Rad hat mehr den Charakter einer Durchschlageübung als den einer Reise. Schon die Lektüre der Reiseführer hatte mich neugierig und gespannt gemacht: „Über die weiten Ebenen Patagoniens weht unablässig ein starker Wind“, war dort zu zum lesen. Auf dem Weg in Richtung Süden traf ich einige Biker, die von dort kommend nach Norden fuhren. Man tauschte sich aus, und alle bestätigten die wilden Gerüchte um den Sturm.

Ich kann sagen, daß bei all den landschaftlichen Highlights und den vielen Begegnungen auf der Tour der Wind in Patagonien tatsächlich den nachhaltigsten Eindruck bei mir hinterlassen hat.

Wegen des Druckgefälles zwischen Pazifik und Atlantik weht der Wind immer aus westlichen Richtungen, wirklich ohne Unterlass den ganzen Tag und jede Nacht, pausenlos mit  Heulen und Getöse, sehr stark bis stürmisch, oft genug mit Orkanstärke und in Böen sehr ungleichmäßig. Dadurch ist das Radfahren erheblich erschwert. Außer bei Rückenwind natürlich, obwohl ich auch einen Tag erlebt habe -es war bei dem Anwesen „Las Horquetas“- an dem selbst dabei an Fahren nicht zu denken war. Das Aufsteigen gelang kaum und der Wind schob einfach zu stark, so daß beim Bremsen auf der Schotterpiste das Rad umschlug. Da hat mich der Patron des Gasthauses in seinem Laster zu den Nachbarn auf „Tamel Aike“ gebracht, denn dort gibt es ein Schweißgerät(!), mit dem mein gebrochener Gepäckträger repariert werden sollte, was leider nicht wie geplant klappte.

Auf dem weg nach Tamel Aike....

 

...fiel zwei mal der Motor ab!

Hierzu ein Tip für andere Radfahrer: auf solchen Touren unbedingt Stahl-Gepäckträger verwenden, Alu ist nur schwer zu reparieren, ich kann ein Lied davon singen, ein Klagelied! Meine Alu-Gepäckträger, obwohl sehr gute ihrer Art, sind in Patagonien fünfmal gebrochen. Nun fahre ich mit Trägern von Tubus.

Auf Feuerland an der „Bahia Inutil“ in Begleitung von Volker und Hauke, konnten wir uns bei Rückenwind treiben lassen, 48 km/h ohne zu treten, 35 km/h leicht bergauf! Schön war ’s! Fahren bei Gegenwind ist hier wie Rafting gegen den Strom. Einige der Kollegen hatten Etappen mit einem Pensum von 6-15 km/Tag oder 200m/Std. erlebt. Es ist ratsam von Nordwesten -Puero Natales/ Punta Arenas- her nach Ushuaia zu fahren, anstatt von dort in umgekehrte Richtung. Wer den Klassiker „Alaska-Feuerland“ fahren will, sollte also oben starten!

Biker im Kampf gegen den Sturm!

Zwei Franzosen...

...und ein Japaner

Zu den Herausforderungen des Windes kommt dann die Anstrengung beim Fahren über/durch den teils sehr groben, teils sandigen Schotter der Ruta 40, in dem man ständig mit einer Böe auf die andere Seite der Piste treibt und umgeworfen wird. Das Fahren ist weniger anstrengend für die Beine als vielmehr für die Arme. Man arbeitet am Lenker wie beim Windsurfen am Rigg. Für diese Schotterpisten empfiehlt sich dicke Bereifung und daher das 26“-Reiserad.

Wer wie ich auf der Ruta 3, einer schön asphaltierten Straße an der Atlantikküste, die bis nach Buenos Aires führt, in Richtung Norden fährt, hat ein anderes Problem: da man sich schräg gegen den Wind zur Straßenseite neigen muss,  verursacht der Windschatten beim Überholen eines LKW einen gefährlichen Schlenker nach links auf die Straße. Es ist unbedingt ratsam einen Rückspiegel zu benutzen! Bei Gegenverkehr und LKW von hinten muss man die Straße räumen, genau wie es auch auf in der Provinz Missiones der Fall war! Kein argentinischer Trucker wartet wegen eines Radfahrers mit dem Überholen.

 

An meinem Geburtstag

auf der Ruta 3

 Herrliches Wetter mit 26°C und...

10.000 km!

Landschaftlich hat mir Patagonien mit seiner wilden Kargheit sehr gefallen. Oft wurde ich von Einheimischen gefragt, warum jemand überhaupt ausgerechnet dort fährt: „Aca no hai nada!“, „Hier gibt es nichts!“, hieß es. Und gerade das macht doch den Reiz aus. Denn ‚nada’ ist das einzige, was es in Europa nicht gibt. Hier gibt es von allem reichlich, viele Städte, viele Strassen und viele Menschen. Die Bevölkerungsdichte beträgt hier ca. 225 Einwohner/ km², im argentinischen Patagonien lebt ein Mensch auf ca. 2,5km²! Solange man dort reist, reicht der Blick in alle Richtungen bis zum Horizont, ohne dass eine Straße, eine Ortschaft oder Industrie das Bild verzerren.

Dazu muss gesagt werden, dass diese Charakterisierung auf den weiten argentinischen Teil zutrifft, während das Landschaftsbild  im Grenzgebiet zu Chile mit dem Gebirge der Andenausläufer von ganz anderer Natur ist. Auch die Landschaft entlang der Carretera Austral ist ja schon Teil Patagoniens.

Ein Eldorado für Treckingurlauber und Bergsteiger ist das Gebiet um den legendären Berg „Fitz Roy“ bei der Stadt El Chalten. Selten sieht man diesen Granitfelsen frei von Wolken. Er hat sein eigenes, unberechenbares Wetter, wofür er berüchtigt  und für Bergsteiger so gefährlich ist.

Weiter südlich liegen die großen kontinentalen Gletscherfelder, die grössten Eismassen ausserhalb der Polregionen! An vielen Stellen münden sie mit breiten Gletscherzungen in die Seen. Der mächtigste ist der Perito-Moreno-Gletscher in der Nähe der Stadt El Calafate, der an seiner ca. 2,6 km breiten und bis zu 35m hohen Gletscherwand in den Lago Argentino kalbt. Ständig rumort es in der Eisfläche mit lautem Knacken und dumpfem Grollen, ähnlich einem fernen Gewitter oder der Meeresbrandung. Ein besonderes Schauspiel ist es, wenn hier und da riesige Eisbrocken mit  Getöse in ’s Wasser brechen. Ein Abstecher hierher lohnt sich auf jeden Fall!

Von dort ist es ein Katzensprung zum chilenischen Nationalpark „Torres del Paine“. Leider ist aber die Grenze hier nicht mit den nötigen Ein- Ausreiseformalitäten passierbar, weil vom argentinischen Grenzschutz nicht besetzt! Argentinien fürchtet zurecht Einbussen im Tourismus, wenn Reisende von Torres del Paine nur einen kleinen Abstecher zum Gletscher machen. So gibt es also die Zwangsführung zwischen El Calafate und Puerto Natales. Diese habe ich per Bus überbrückt. An der Grenze zu Chile stieg ich aus, um direkt nach Norden in den Nationalpark weiterzufahren. Hinter mir zog ein Unwetter auf, fegte über die Hügel, und schneller als ich reagieren konnte war der Himmel düster, stürmte es mit starkem Regen bei einem Temperatursturz von 10 C°! Gerade noch konnte ich mir Regenzeug anziehen aber keine warmen Sachen, es wäre alles nass geworden. Da stand ich frierend im Wolkenbruch und dachte an die kommende Nacht. Ungemütlich wäre es geworden, ich mochte es mir nicht vorstellen, weit und breit nichts an Deckung zu sehen! Da hatte ich wieder grosses Glück, ein Laster hielt, darin Carlos und Vicky, die mich mitnahmen zu ihrem Haus auf einer Estancia. Dort habe ich den Nachmittag und die Nacht verbracht, wurde freundlichst bewirtet, und Carlos nähte sogar noch meinen zerrissenen Handschuh! Von der Estancia aus hat man einen herrlichen Blick auf die „Torres del Paine“. Während der beiden Tage meines Aufenthaltes dort war wieder wegen Regenwetters nicht viel zu sehen.

Auf dem Weg von Puerto Natales nach Punta Arenas traf ich die beiden deutschen Nordlichter Volker und Hauke, mit denen ich gemeinsam über Feuerland bis nach Uschuaia fuhr. Eine nette Begegnung und für mich eine willkommene Abwechslung. In diesen Tagen hatten wir schönes Wetter und günstigen Wind. Nach der Überfahrt von Punta Arenas nach Porvenir über die Magellan-Strasse ging es an der Bahaia Inutil entlang an die Atlantikküste nach San Sebastian. Bei solch wohlklingenden Ortsnamen bin ich immer gespannt auf die „Stadt“, die  mich erwartet. Aber hier sind die Ortschaften meist nur wenige Häuser um eine Tankstelle herum gebaut, an Strassenkreuzungen wie dieser mit einem Motel dazu. Die Verhältnisse sind nicht wie in Europa, wo Dörfer nach südamerikanischem Masstab Städte sind. Die Atlantikküste ist so gut wie menschenleer und unbesiedelt. Das Wasser ist zu kalt, als dass sich Tourismus entwickeln könnte. Dann also endlich Ankunft in Ushuaia, der Stadt am Ende der Welt, wie es heisst.
 

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